Northeim – Hans-Peter Z.’s Brille baumelt verloren zwischen kahlen Zweigen eines Strauches.
Daneben liegen die schmuddelige Schaumstoffmatratze, die in seinen letzten Lebensstunden
sein Zuhause war, und ein Paar dicke Fäustlinge, die er irgendwann ausgezogen hat, als er
schon gar kein Kälteempfinden mehr gehabt haben dürfte. „Das Zeug will ja keiner haben.
Wir werden das noch heute entsorgen“, sagt Sigrun Teske SPIEGEL ONLINE. Ihr Mann Rudi,
ein Jäger, hatte den Toten in dem Hochsitz entdeckt, als er mit einem Kollegen die marode
Treppe reparieren wollte.
Die Leiche des 58-Jährigen sei bereits mumifiziert und trocken gewesen. Er habe unter
einer alten Steppdecke gelegen, auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt.
„Er trug eine Jacke, lange Unterhosen, gute Schuhe. Er war ordentlich angezogen“, erinnert
sich ein Augenzeuge. Neben ihm lag ein kleines dunkelblaues Tagebuch, in dem er mit
ordentlicher Schrift sein Sterben dokumentiert hatte. „Er beschreibt, wie sein Körper von
Tag zu Tag zerfällt“, sagt Sigrun Teske. Wie ihm die Galle hochkommt, wie ekelhaft und
unangenehm sich das anfühlt. „Das ist zwar sehr traurig, aber der Schock legt sich beim
Lesen des Tagebuchs, weil man spürt, dass er diesen Weg freiwillig gewählt hat. Er wollte
nicht gefunden werden.“
Nach Informationen der „Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen“ (HNA) hatte der Mann
zuletzt in Hannover gelebt und arbeitete viele Jahre im Außendienst, weshalb er sich wohl gut
in der Uslarer Gegend auskannte. Nach gescheiterter Ehe habe er seine Arbeit und den
Kontakt zu seiner Tochter verloren. Ab Oktober vergangenen Jahres habe er kein
Arbeitslosengeld mehr bekommen, berichtet die HNA. Daraufhin habe er seinen Entschluss
gefasst, sich aufs Fahrrad gesetzt und 100 Kilometer von Hannover entfernt hier einen Platz
zum Sterben gesucht.
Er fand ihn in dem aufwendig gebauten, 15 Jahre alten Hochsitz am Rande eines Waldstücks
zwischen dem Stehberg und dem Dingberg oberhalb des Uslarer Ortsteils Schlarpe. Hier
konnte er unentdeckt die letzten Tage seines Lebens verbringen, „weil der Hochsitz morsche
Stellen hat, und die Jäger entschieden haben, ihn erst im Frühjahr auszubessern“, sagt Sigrun
Teske. Der Boden war ausgelegt mit einem hellen, wärmenden Teppichboden. Decken,
Kopfkissen und eine durchgelegene Matratze lagen parat. „Wir haben hier schon viele Nächte
verbracht“, sagt Hubert Hennecke SPIEGEL ONLINE. Der 51-Jährige geht regelmäßig auf
Wildschweinjagd. Oft war er in diesem Winter mit seinem Sohn in der Nähe des Hochsitzes,
immer wieder quengelte der Dreijährige, die marode Treppe hinaufklettern zu dürfen. „Hätten
wir geahnt, dass sich da oben einer versteckt, der keinen Ausweg mehr weiß?“
Der Hannoveraner hatte sich vor der Entdeckung Henneckes und dessen Sohn gefürchtet.
In seinem Tagebuch schreibt er, dass „ein freundlicher, besorgter Vater sein Kind jedoch
davon abhalten konnte“. Er habe „intelligent und wohl formuliert geschrieben“, berichten die
Ermittler und Zeugen, die einen Blick in das zwei Zentimeter dicke Büchlein werfen konnten.
„Zuerst dachten wir, der sei schwer krank gewesen und wollte einfach nur nicht ins Krankenhaus
oder ins Heim“, sagt Sigrun Teske. „Keiner glaubt ja, dass ein Mensch so verzweifelt und so
einsam ist, dass er sich diesen Weg zum Sterben wählt.“
In dem DinA5-Buch mit dunkelblauem Plastikeinband hat der Sterbende die letzten 24 Tage
seines Lebens aufgezeichnet. Tage ohne Essen, nur mit ein bisschen Wasser, das er in
einem selbst mitgebrachten dunkelblauen Plastikkanister aufsammelte. Die Eintragungen
enden am 13. Dezember vergangenen Jahres. „Das ist Teil seines Nachlasses“, sagte ein
Sprecher der Polizei in Northeim SPIEGEL ONLINE. In einer Art Letztem Willen habe der
Mann verlangt, dass das Heft nach seinem Tod seiner Tochter übergeben wird. „Was sie
damit macht, bleibt ihr überlassen.“
Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE sagte Joana Z. über ihren Vater: „Ich habe seit Jahren
keinen Kontakt zu dem Verstorbenen gehabt, und er war es, der den Kontakt zu mir abbrach.“
Was die Bestattung angeht, sagte sie: „Es wird jetzt alles seinen normalen Gang gehen.“
Gegenüber der Polizei soll die junge Frau gesagt haben, dass sie keinen Wert darauf lege,
den Leichnam ihres Vaters zu bestatten oder das Buch in Empfang zu nehmen. „Es ist ein
wichtiges Dokument“, sagen die, die es kurz in Händen hielten. „Aber es macht natürlich auch
ein schlechtes Gewissen. Der Tochter – aber auch unserer Gesellschaft.“
URL: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,534864,00.html
Das ist schon wahnsinn, wenn jemand so verzweifelt ist und sich nicht mit schnelleren
Methoden umbringt. Das muss man sich mal vorstellen. Das war sich nicht angenehm,
so zu sterben. Wie auch immer, die Probleme die er hatte hat er jetzt mit Sicherheit
nicht mehr. Zwar brutal ausgedrückt, aber irgendwo doch wahr. Ich weiß jetzt nicht,
zu welcher Jahreszeit er gestorben. Wenn es jetzt vor kurzem passiet ist, hat er
echt Glück, was heißt hier Glück dass er nicht erfroren ist in der Nacht. Andererseits
gibt es durch sein Tagebuch einige Erfahrungswerte (kling vielleicht hart), na ja 24
Tage ist schon lang. Solange würde Ich (bin eher dünn) wahrscheinlich u.U. nicht
durchhalten. Ausserdem, find Ich gehört schon viel Mut (oder Verzweiflung?) dazu,
nicht zwischendurch aus Hunger nach Hause zu gehen. Irgendwo natürlich traurig,
aber wie schon oben gesagt: die alten Probleme hat er jetzt sich nicht mehr.
Vielleicht andere, vielleicht auch nicht… ?
Katie.